Patientenverfügung in Zeiten von Corona Covid-19

 In Service

Frage: Im Zuge der Corona–Pandemie hört man verstärkt den Aufruf, eine Patientenverfügung zu verfassen oder eine gegebenenfalls vorhandene Patientenverfügung zu ändern bzw. zu ergänzen. Zu Recht?

 

Rechtsanwalt Gert Grey: Patientenverfügungen regeln medizinische Behandlungen in bestimmten, präzise erfassten Krankheits- und Behandlungssituationen. Für diese Fälle trifft der Patient spezifische Anordnungen. Verkürzt ausgedrückt geht es meist um den Wunsch, Behandlungen und Therapien, die möglich und „lege artis“ geboten wären, zu unterlassen und/oder keine oder abweichende Behandlungen auszuführen. Wenn ein Patient grundsätzlich mit einer medizinischen Behandlung unter Ausschöpfung aller medizinischen Möglichkeiten einverstanden ist, benötigt er von vornherein keine Patientenverfügung, auch nicht im Fall einer Covid-19 Erkrankung.

Wichtig ist, dass eine Patientenverfügung nur dann – aber eben auch gerade dann – wirken soll, wenn der Patient sich in Gespräch oder non verbaler Kommunikation mit dem Arzt nicht – mehr – zu dessen Vorschlägen äußern kann. Die Verfügung dient dann dazu, den schon vor dieser Situation formulierten Willen des Patienten zu erkennen und dem Arzt eine konkrete Behandlungsanordnung zu geben – obwohl der Patient „hilf- und willenlos“, ohne sich äußern zu können, daliegt.

 

Frage: Angenommen, ich habe bereits eine Patientenverfügung. Wirkt diese Verfügung auch im Fall einer Erkrankung an Covid-19 oder vergleichbaren Krankheiten?

 

Rechtsanwalt Gert Grey: Nach meiner Einschätzung greifen die typischen, bislang vorliegenden Patientenverfügungen im Fall einer Covid-19 Erkrankung von vornherein nicht bzw. allenfalls sehr spät.

Allgemeine Patientenverfügungen regeln typisch nur solche Behandlungssituationen, in denen der Tod der Patienten unmittelbar oder zumindest absehbar bevorsteht, ohne dass eine realistische Aussicht auf Heilung besteht. Sie greifen auch, wenn der Todeszeitpunkt zwar noch nicht absehbar, aber nach medizinischem Ermessen eine Heilung nicht zu erwarten ist. Anders formuliert, wenn der Patient unter der Heilungsperspektive austherapiert ist und keine realistische Aussicht mehr besteht, dass er in sein früheres, von ihm als lebenswert beurteiltes Leben, zurückfinden wird. Dies gilt insbesondere, wenn die weitere Lebenserhaltung die Gefahr von zusätzlichen körperlichen oder geistigen Begleitschäden des Patienten notwendig in sich trägt.

Im Fall von Covid-19 liegen die Dinge anders. Die hier üblichen Therapien der Behandlung im Krankenhaus, der Intensivmedizin und insbesondere der künstlichen Beatmung dienen noch gezielt der Heilung. Die Ärzte therapieren in der Hoffnung, dass der Patient die Covid-19 Erkrankung überlebt, er am Ende als geheilt entlassen werden kann. Dies gilt zumindest bei der Einleitung der Behandlung. Die Anwendungssituation der „üblichen“ Patientenverfügung besteht somit von vornherein nicht. Die allgemeine Patientenverfügung kann in der Schublade bleiben, da sie ohnehin nicht wirkt. Im Verlauf und in der kritischen Endphase einer Covid-19-Behandlung mag sich dies ändern, nämlich dann, wenn – anders als bei der Einleitung der Intensivbehandlung – eine Heilungsaussicht trotz Intensivmedizin konkret gegen Null geht. Allerdings befindet sich der Patient in diesen Fällen möglicherweise schon seit Tagen, vielleicht Wochen, intubiert und bewusstlos auf der Intensivstation eines Krankenhauses und wird – pandemiebedingt – auch dort isoliert versterben. Die typische Verfügung wirkt daher allenfalls sehr spät.

 

Frage: Was kann ich als Patient tun? Kann ich dem vorbeugen?

 

Rechtsanwalt Gert Grey: Sie müssen sich genau diese Gedanken machen und das Ergebnis möglichst schriftlich festhalten. Zunächst gilt: Covid-19 ist keine Ausnahmekrankheit. Für eine Behandlung gilt das, was immer gilt: Grundsätzlich darf ohne eine sachliche Aufklärung des ansprechbaren Patienten nicht behandelt werden. Vor jeder Behandlung wird der Arzt seinen Patienten – wenn möglich – über das beabsichtigte Vorgehen und die damit verbundenen Erfolgsaussichten und auch Risiken der Behandlung aufklären. Dies ist vordringlich kein juristisches, sondern ein medizinischen Thema, somit Aufgabe eines Arztes – und nicht eines Anwalts. Daher nur soviel: Die Erfolgsaussichten einer intensiv-medizinischen Behandlung sind nach derzeitigem Stand unsicher. Nicht alle Behandlungen verlaufen erfolgreich, sondern eine signifikante Größe von Patienten verstirbt trotz der Ausschöpfung alles medizinisch Möglichem. Die Zahlen sind unsicher. Manche sprechen von einer Überlebenschance von durchschnittlich ca. 40 %, hier wieder abhängig vom persönlichen Zustand. Hinzu kommen die Risiken der Behandlung. Nach einer intensiv-medizinischen Beatmung mit einem Tubus in der Luftröhre ist ab einer Behandlung von einer Woche, erst recht nach zwei bis drei Wochen, – selbst wenn der Patient überlebt! – mit erheblichen kognitiven Defiziten, körperlichen Schäden und Einbußen, psychischen Störungen, vor allem schwer behandelbaren Depressionen mit einer Wahrscheinlichkeit von zum Teil über 60 % zu rechnen. Einige Schäden würden sich in einem langen Rehabilitationsprozess über Monate und Jahre bessern. Spuren würden aber absehbar bleiben. Noch einmal: diese Aufklärung ist Sache eines Arztes – gleichwohl fließt sie in eine Entscheidung über eine mögliche spezielle Patientenverfügung ein und muss daher an dieser Stelle zumindest erwähnt werden.

 

Frage: Kann ich als Patient diese Entscheidung überhaupt treffen?

 

Rechtsanwalt Gert Grey: Ja, wer sonst? Aber nur dann, wenn ich mir einerseits über die Konsequenzen und andererseits über Alternativen im Klaren werde und dann entscheide.

Es bleibt ohne Einschränkung – und insbesondere auch ohne altersbedingte Einschränkung – die Entscheidung des Einzelnen, ob er die genannten Schwierigkeiten annimmt, ob er sich stark genug fühlt und kämpfen möchte. Bestimmt werden viele dies wollen, aber eben nicht alle!

Zur Aufklärung gehört an dieser Stelle – wenn ich die künstliche Beatmung ablehne – auch die Aufklärung über Alternativen. Hier bietet sich die Palliativmedizin an. Sie ist nicht der Heilung und Lebenserhaltung verpflichtet, sondern dem Ziel einer optimalen Lebensqualität am Lebensende. Ziele sind, Angst- und Unruhezustände und insbesondere auch die Atemnot zu verhindern, verbunden mit einer möglichst effizienten Schmerztherapie. Dabei ist dem Patienten klar, dass er auf diesem Weg dem Tod sicher – aber eben begleitet, „tender loving care“ – entgegengeht.

Eine solche Aufklärung und Beratung ist anstrengend und emotional belastend. Sie darf niemals in „gut gemeinte Ratschläge“ münden oder erst recht manipulativ in eine Richtung erfolgen. Gleichwohl glaube ich, dass ein Patient sich auch im Vorhinein eine stabile Meinung bilden kann. Nach Vorstehendem dürfte klar sein, dass es hilfreich und beruhigend ist, sich diese Gedanken rechtzeitig zu machen und nicht erst unmittelbar vor der Behandlung. Dies umso mehr, weil gerade bei Covid-19 Erkrankungen schnelle Entscheidungen, oftmals binnen Minuten, geboten sein können.

 

Frage: Wenn ich mir eine Meinung gebildet habe – wie kann ich sicherstellen, dass meine Wünsche auch umgesetzt werden?

 

Rechtsanwalt Gert Grey: Eine Patientenverfügung muss generell schriftlich verfasst werden. Nicht unbedingt handschriftlich wie ein Testament, aber der Text sollte den Verfasser erkennen lassen und eigenhändig unterschrieben sein. Es gibt zahlreiche mehr oder wenig übersichtliche und stimmige Vorlagen, meist mit der Möglichkeit, zwischen verschiedenen Optionen durch Ankreuzen zu entscheiden. Hilfreich ist es, in der Verfügung einen Bevollmächtigen zu benennen, der die Umsetzung sicherstellt. Nach meiner Erfahrung verstärkt es die Ernsthaftigkeit der Verfügung, wenn Zeugen der Meinungsbildung, sei es der Bevollmächtigte oder Ärzte und anwaltliche Berater genannt werden. Diese können bestätigen, dass sie die Meinungsbildung begleitet haben. Die Verfügung wirkt umso sicherer, je klarer sie erkennen lässt, dass der Patient sich ernsthafte Gedanken gemacht hat und die niedergeschriebenen Gedanken auch die seinen sind. Um hier im Einzelfall treffsichere Formulierungen zu finden, kann eine anwaltliche oder notarielle Beratung hilfreich sein.

 

Abgestufte und persönliche Wege sind möglich und gewollt. Wer sich konkret für einen Verzicht auf jegliche Intensivmedizin entschieden hat, kann seinen Willen beispielweise in einer unmissverständlichen Kurzfassung dokumentieren.

 

Ein unterschriftsreifes Muster können Sie sich hier kostenlos herunterladen:
patientenverfuegung_covid-19_muster

Es kann auch ohne anwaltliche Beratung verwendet werden – dann selbstredend auch ohne entsprechende Bestätigung.

 

Wichtig bleibt – wie in der Einleitung bereits gesagt –, dass jeder Verfasser oder Patient weiß, dass er seine Verfügung – solange er sich noch äußern kann – jederzeit ändern
oder annullieren kann.  Dies muss nicht unbedingt schriftlich erfolgen, sondern kann auch noch mündlich oder durch Gesten geschehen. Zu allererst gilt der aktuelle Wille des Patienten. Erst wenn er sich nicht mehr feststellen lässt, greift der schriftlich niedergelegte Wille in der Patientenverfügung.

 

Danke für dieses Gespräch.